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Die Letzten ihrer Art


Stilvoll über den Acker mit 50 Kubikzentimetern
Mofarennen

Im offenen Eichenboot auf der Nordsee unterwegs
Dampferbörte

"Es blutet einem schon das Herz."
Pferdeautkion

„Wir alle scheitern irgendwann.“
XXL-Papierboot kentert im Fluss

(Reportage über die Helgoländer Dampferbörte, 2022)

Kristain Bader

Vom Verkehrsmittel zum Kulturgut

„Was hat er, acht Meter?“ – „Ja, der geht ziemlich tief.“ Viele Worte wechseln die drei Männer nicht, während unter ihnen der Dieselmotor röhrt. Sie stehen auf Eichenplanken in einem offenen Boot und umkreisen die Artania, ein Kreuzfahrtschiff, dass Helgoland anläuft, um seinen Passagieren einen Landausflug auf die Insel zu bieten. Der Kreuzfahrer wird hinter der Mole Schutz vor den Nordseewellen suchen, spekuliert die Besatzung des Börteboots.
Schließlich liegt die Artania vor Anker. Ihre Matrosen haben eine Plattform an der Bordwand herabgelassen, an der das Börteboot anlegen soll. Die Höhen stimmen nicht ganz, die Autoreifen-Fender des Boots hinterlassen schwarze Marken am weißen Rumpf des Kreuzfahrers; ab und zu verhakt sich etwas und es knirscht. „Does not look so good“, findet ein Offizier der Artania, als er das Konstrukt in Augenschein nimmt.
Das Mobiltelefon von Börteboot-Kapitän Sven Köhn klingelt. Neuer Plan: Er legt von der Artania ab und fährt nach Helgoland zurück. Ein Kollege nimmt seinen Platz ein, um die ersten Passagiere auf die Insel zu bringen. Köhn hat jetzt einen Spezialauftrag: Er soll Roberto Blanco von Helgoland auf die Artania bringen.
„Es freuen sich alle, dass hier ein Kreuzfahrer anlandet“, sagt Insellotse Martin Köhn, Großcousin von Börte-Kapitän Sven Köhn. Die beiden Männer stehen mit ihren Berufen in einer langen Inseltradition. Aber die Dampferbörte erlebt seit Jahren ihren Niedergang.
In den 1970ern transportierten die offenen Eichenboote bis zu 12.000 Gäste pro Tag von und zu den Schiffen, die vor der Insel auf Reede lagen. Das System funktionierte, bis in den 1990-er Jahren der erste Katamaran nach Helgoland kam. Der legte sich nicht vor Anker wie die Bäderschiffe, sondern fuhr direkt in den Hafen. „Da war Aufstand hier“, erzählt Bernhard Wellnitz, als Brückenkapitän für die Organisation der Börte zuständig. „30 Börteboote haben den Hafen blockiert.“
Es nützte nichts. Die Reedereien, die Helgoland regelmäßig anlaufen, setzen immer mehr Katamarane ein, inzwischen kommen nur noch zwei traditionelle Bäderschiffe. Und seit Corona legen auch die im Hafen an. Da halfen auch die Gangways und Handläufe nicht, die auf den Börtebooten montiert wurden als Ersatz für den kräftigen Griff an den Oberarm, mit dem Passagieren traditionell aufs Boot geholfen wird. „Das ist für uns unverständlich“, sagt Bernhard Wellnitz. Die Reederei bezahle fürs Anlanden 3,78 Euro pro Passagier; egal, ob mit der Börte ausgebootet wird oder das Schiff im Hafen liegt. Die Politik betrachte die Börte als „nicht mehr zeitgemäß“, klagt Sven Köhn. Barrierefrei ist das Procedere mit dem Umstieg in die offenen Boote allerdings tatsächlich nicht.
„Ausbooten ist mittlerweile mehr eine Abenteuerreise“, stellt Köhn fest. Ein Dutzend Kreuzfahrer pro Jahr, Inselrundfahrten, Shuttle-Service vom Südhafen zur Landungsbrücke und zur Düne und Ersatz für die Dünenfähre, wenn die Tankpause macht, das sind die verbliebenen Einsatzgebiete der Börte. „Wir planen, mal wieder Angelfahrten zu machen“, ergänzt Wellnitz noch.
Früher lag der Binnenhafen voll mit den weißen Börtebooten, heute gibt es nur noch sieben aktive, berichtet der Brückenkapitän. Eins davon, die „Pirat“, wird elektrisch angetrieben: „Da kann man sich bei Lummenfahrten anschleichen“, erklärt Wellnitz.
Als die Boote verkauft wurden, suchten sich auch die Kapitäne und die Besatzungen neue Arbeitsplätze. „Mit eigener Besatzung kriegen wir drei Crews zusammen“, resümiert Bernhard Wellnitz.
„Börteboot fahren ist für uns ein Lebenswerk“, sagt Sven Köhn. „Wir wurden da ’reingeboren. Ich wollte das schon immer.“ Schon als Junge genoss er es, hinten an der Pinne zu stehen. „Bernie und ich, wir sind die letzten Helgoländer“, erklärt Sven Köhn in einem kleinen Raum auf der Landungsbrücke. „Bernie“ Wellnitz zeigt auf die Fotos von seinem Vater und seinem Großvater in den Reihen von Porträts an der Wand: „Meine ganzen Vorfahren waren Dampferbörte oder Lotsen“. Die andere Wand ist gefüllt mit Bildern der Bäderschiffe, die Helgoland angelaufen haben. Schwarzweiß-Fotos, die an die Zeit erinnern, als ohne die Börte nichts ging auf Helgoland.
Seit 195 Jahren gibt es die Dampferbörte. Früher fuhren die Boote mit Riemen und Segeln, die Rumpfform entwickelte sich aus der Helgoländer Schaluppe. Zehn Meter lang, acht Tonnen schwer: „Genau die Größe für den Wellengang hier“, stellt Bernhard Wellnitz fest. „Hochseetauglich ohne Ende, von der Berufsgenossenschaft abgenommen“, ergänzt Sven Köhn.
Seit 2018 ist die Helgoländer Dampferbörte offiziell immaterielles Kulturgut unter dem Schutz der UNESCO. Inzwischen existiert sogar ein Verein zum Erhalt Helgoländer Börteboote. Aber die Zeiten, als die Dampferbörte ein wichtiger Arbeitgeber auf Helgoland war, sind wohl vorbei.

Kristian Bader

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