(Reportage
über die Helgoländer Dampferbörte, 2022)
Vom
Verkehrsmittel zum Kulturgut
Was hat er, acht
Meter? Ja, der geht ziemlich tief. Viele
Worte wechseln die drei Männer nicht, während unter ihnen
der Dieselmotor röhrt. Sie stehen auf Eichenplanken in einem
offenen Boot und umkreisen die Artania, ein Kreuzfahrtschiff, dass
Helgoland anläuft, um seinen Passagieren einen Landausflug
auf die Insel zu bieten. Der Kreuzfahrer wird hinter der Mole Schutz
vor den Nordseewellen suchen, spekuliert die Besatzung des Börteboots.
Schließlich liegt die Artania vor Anker. Ihre Matrosen haben
eine Plattform an der Bordwand herabgelassen, an der das Börteboot
anlegen soll. Die Höhen stimmen nicht ganz, die Autoreifen-Fender
des Boots hinterlassen schwarze Marken am weißen Rumpf des
Kreuzfahrers; ab und zu verhakt sich etwas und es knirscht. Does
not look so good, findet ein Offizier der Artania, als er
das Konstrukt in Augenschein nimmt.
Das Mobiltelefon von Börteboot-Kapitän Sven Köhn
klingelt. Neuer Plan: Er legt von der Artania ab und fährt
nach Helgoland zurück. Ein Kollege nimmt seinen Platz ein,
um die ersten Passagiere auf die Insel zu bringen. Köhn hat
jetzt einen Spezialauftrag: Er soll Roberto Blanco von Helgoland
auf die Artania bringen.
Es freuen sich alle, dass hier ein Kreuzfahrer anlandet,
sagt Insellotse Martin Köhn, Großcousin von Börte-Kapitän
Sven Köhn. Die beiden Männer stehen mit ihren Berufen
in einer langen Inseltradition. Aber die Dampferbörte erlebt
seit Jahren ihren Niedergang.
In den 1970ern transportierten die offenen Eichenboote bis zu 12.000
Gäste pro Tag von und zu den Schiffen, die vor der Insel auf
Reede lagen. Das System funktionierte, bis in den 1990-er Jahren
der erste Katamaran nach Helgoland kam. Der legte sich nicht vor
Anker wie die Bäderschiffe, sondern fuhr direkt in den Hafen.
Da war Aufstand hier, erzählt Bernhard Wellnitz,
als Brückenkapitän für die Organisation der Börte
zuständig. 30 Börteboote haben den Hafen blockiert.
Es nützte nichts. Die Reedereien, die Helgoland regelmäßig
anlaufen, setzen immer mehr Katamarane ein, inzwischen kommen nur
noch zwei traditionelle Bäderschiffe. Und seit Corona legen
auch die im Hafen an. Da halfen auch die Gangways und Handläufe
nicht, die auf den Börtebooten montiert wurden als Ersatz für
den kräftigen Griff an den Oberarm, mit dem Passagieren traditionell
aufs Boot geholfen wird. Das ist für uns unverständlich,
sagt Bernhard Wellnitz. Die Reederei bezahle fürs Anlanden
3,78 Euro pro Passagier; egal, ob mit der Börte ausgebootet
wird oder das Schiff im Hafen liegt. Die Politik betrachte die Börte
als nicht mehr zeitgemäß, klagt Sven Köhn.
Barrierefrei ist das Procedere mit dem Umstieg in die offenen Boote
allerdings tatsächlich nicht.
Ausbooten ist mittlerweile mehr eine Abenteuerreise,
stellt Köhn fest. Ein Dutzend Kreuzfahrer pro Jahr, Inselrundfahrten,
Shuttle-Service vom Südhafen zur Landungsbrücke und zur
Düne und Ersatz für die Dünenfähre, wenn die
Tankpause macht, das sind die verbliebenen Einsatzgebiete der Börte.
Wir planen, mal wieder Angelfahrten zu machen, ergänzt
Wellnitz noch.
Früher lag der Binnenhafen voll mit den weißen Börtebooten,
heute gibt es nur noch sieben aktive, berichtet der Brückenkapitän.
Eins davon, die Pirat, wird elektrisch angetrieben:
Da kann man sich bei Lummenfahrten anschleichen, erklärt
Wellnitz.
Als die Boote verkauft wurden, suchten sich auch die Kapitäne
und die Besatzungen neue Arbeitsplätze. Mit eigener Besatzung
kriegen wir drei Crews zusammen, resümiert Bernhard Wellnitz.
Börteboot fahren ist für uns ein Lebenswerk,
sagt Sven Köhn. Wir wurden da reingeboren. Ich
wollte das schon immer. Schon als Junge genoss er es, hinten
an der Pinne zu stehen. Bernie und ich, wir sind die letzten
Helgoländer, erklärt Sven Köhn in einem kleinen
Raum auf der Landungsbrücke. Bernie Wellnitz zeigt
auf die Fotos von seinem Vater und seinem Großvater in den
Reihen von Porträts an der Wand: Meine ganzen Vorfahren
waren Dampferbörte oder Lotsen. Die andere Wand ist gefüllt
mit Bildern der Bäderschiffe, die Helgoland angelaufen haben.
Schwarzweiß-Fotos, die an die Zeit erinnern, als ohne die
Börte nichts ging auf Helgoland.
Seit 195 Jahren gibt es die Dampferbörte. Früher fuhren
die Boote mit Riemen und Segeln, die Rumpfform entwickelte sich
aus der Helgoländer Schaluppe. Zehn Meter lang, acht Tonnen
schwer: Genau die Größe für den Wellengang
hier, stellt Bernhard Wellnitz fest. Hochseetauglich
ohne Ende, von der Berufsgenossenschaft abgenommen, ergänzt
Sven Köhn.
Seit 2018 ist die Helgoländer Dampferbörte offiziell immaterielles
Kulturgut unter dem Schutz der UNESCO. Inzwischen existiert sogar
ein Verein zum Erhalt Helgoländer Börteboote. Aber die
Zeiten, als die Dampferbörte ein wichtiger Arbeitgeber auf
Helgoland war, sind wohl vorbei.
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